Bigwall-Klettern im sonnigen Kalifornien
“California knows how to party”, singt Tupac in “California Love”. Das wollte ich zusammen mit Nik Kohler herausfinden und so machten wir uns 2018 für ganze 6 Wochen zum berühmten Yosemite-Nationalpark auf.
Anstatt uns sofort auf den berühmten El Cap zu stürzen, wollten wir uns erst einmal nicht so populären aber ebenso schönen und herausfordernden Projekten widmen. Wir hatten uns ein paar Bigwall-Touren herausgesucht, um uns in Art und Stil der Kletterei einzustimmen. Darunter waren grosse Klassiker wie „Separate Reality“, die durch ihre Schlüsselstelle bekannt ist, einen etwa 6m langen Handriss in einem Dach. Weiter kletterten wir die Route „Rostrum“, die sich auf einem wunderschönen grauen Pfeiler hochzieht mit eindrücklichen Risssystemen. Auch der legendäre „Astroman“ aus dem Jahr 1959 an der Washingtoner Column kam unter unsere Finger. Nachdem wir die Tour geklettert hatten, wussten wir warum es lange Zeit als Test Piece galt für Granitkletterer. Die Kletterei ist intensiv – mental und physisch. Weiter ging es zum El Cap, wo wir uns die berühmte Nose vornahmen. Wir planten konservativ zwei Tage ein, hätten es aber in einem geschafft. Und so biwakierten wir 7 Seillängen vor dem Ausstieg, um die Bigwall-Stimmung zu geniessen.
Simon und ich wechselten uns im Vorstieg ab und bei den einfacheren Längen kletterten wir simultan. Wir waren mental sehr gut unterwegs und auch die Schlüsselseillänge konnten wir im onsight Modus klettern. Und weil es so gut lief, wurde ich etwas lockerer und da es im 7a weiterging studierte ich das Topo nicht mehr so genau. Ich hatte das Labyrinth an Routen in dieser grossen Wand etwas unterschätzt. Man sollte trotz gutem Vorwärtskommen halt trotzdem immer achtsam bleiben. Und so verkletterte ich mich um 4m in der 16. Seillänge. Ich konnte die Onsight-Begehung mit Mut, Entschlossenheit und einer kleinen Schwachstelle im Felsen doch noch retten.
Nach 9 Stunden standen wir auf dem Gipfel, wo wir nach kurzem Abseilen auf Andrea Milani trafen. Er hatte unsere Skiausrüstung, Tee und Schokolade mitgebracht. Simon und ich waren glücklich und beeindruckt über die Herzlichkeit und Unterstützung von Andrea. Wir fuhren zusammen nach Malga Ciapela und gönnten uns dort eine Pizza.
Ja und nach diesem schönen und gelungenen Erlebnis entschieden Simon und ich, dass wir genug erlebt hatten und es Zeit war, nach Hause zu fahren. Es war der 4. März und wir hatten noch 3 Wochen frei genommen. Aber wenn man einfach immer weitermacht, verlieren Touren auch ein bisschen an Wert. Plötzlich sind sie nur noch eine Nummer und man rennt rastlos von einem Projekt zum nächsten. Es ist wichtig, dankbar dafür zu sein, dass alles gut gegangen ist und neue Kräfte und Ideen zu sammeln für neue Unternehmungen.
Nach all diesen eindrücklichen und schönen Bigwall-Touren wollten wir uns ein Projekt vornehmen, das wir ausschliesslich frei klettern würden. Die Wahl fiel auf die Misty Wall an der Westseite der Sentinel. Der erste Teil wurde 1964 durch Royal Robbins und Dick McCracken im Jahr 1964 eröffnet. Einige Partien konnten nicht frei geklettert werden und es hiess, dass es deshalb zu einem der Rotpunkt-Projekte der 80er und 90er wurde. Die Route geriet aber nach zahlreichen Versuchen in Vergessenheit, weil einige Stellen unüberwindbar blieben. Erst 2016 versuchten Jon Cardwell und Marcus Garcia, sie frei zu klettern und erweiterten die Tour auf 15 Seillängen. 2017 gelang dann endlich die erste Rotpunktbegehung durch Jon Cardwell und Sasha DiGiulian. Die Knacknuss der gesamten Tour ist ein 5m Horizontaldach, das mit 5.13 (französische Skala 7c+ / 8a) bewertet ist. Die Route ist sehr alpin und erfordert neben der Schlüsselseilänge viel Ausdauer und gute Technik im Granit.
Auch hier rechneten wir konservativ 2 Tage ein für eine Rotpunktbegehung. Wir stiegen nach einer sehr kalten Nacht in die Route ein ohne bestimmte Erwartungen aber viel Vorfreude. Wie es in diesem Gelände üblich ist, muss alles selbst abgesichert werden mit Ausnahme der Stände. Wir fühlten uns schnell wohl mit der Kletterei und ich merkte rasch, wie ich mit meinem Bewegungsrepertoire aus dem vollen Schöpfen konnte. Wir meisterten die Route onsight und waren auch viel schneller unterwegs als erwartet. Um das Bigwall-Feeling doch noch zu erleben, stellten wir unser Portaledge kurz unter dem Ausstieg auf. Es wären noch 2 Stunden Kletterei bis zum Ausstieg gewesen, aber wir wollten auf den Schlaf in der Vertikalen doch nicht verzichten.
Von unserem Erfolgserlebnis beflügelt, kletterten wir eine klassische Route am Half Dome und zwar die Regular Northwest Face. Die Route ist ein Klassiker und bewegt sich, wenn mit technischen Hilfsmitteln geklettert, im VI. Grad. Frei geklettert ist sie mit 5.12 (französische Skala 7b) bewertet. Sie erstreckt sich mit 23 Seillängen über 670 Klettermeter. Auch hier muss alles selbst abgesichert werden. Die Erstbesteigung erfolgte 1957 durch ein Team bestehend aus Royal Robbins, Mike Sherrick und Jerry Gallwas in 5 Tagen. Wir verzichteten auf eine 100% freie Begehung, waren dafür aber nach 7 Stunden am Ausstieg.
Wieder auf dem Campingplatz angekommen, dachte ich glücklich über die Erlebnisse der letzten Wochen nach. Ausserdem war es ein bedeutendes Datum für mich. Vor genau zwei Jahren hatte ich mein erstes Training für die Wettkampfsaison im Eisklettern begonnen. Plötzlich merkte ich, wie der Wunsch immer mehr Platz einnahm, am Iceclimbing Worldcup in Saas Fee teilzunehmen. Ich träumte in dieser Nacht davon, wie ich mit meinen Eisgeräten flink die Kunstwand in Saas Fee hochkletterte. Damit war mein nächstes Projekt gesetzt.